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„Wir wollen den Bürokratie-Burnout beenden“

Schwerpunktthema: Interview

Interview von Bundesminister der Justiz Dr. Marco Buschmann mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über seine Entlastungspläne – und über schlechte Bürokratie durch manche Gesetzentwürfe.

Interviews und Gastbeiträge
Frankfurter Allgemeine Zeitung

zu sehen ist ein Zitat von Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann: "Wir schaffen insgesamt ein Entlastungsvolumen von mehr als drei Milliarden Euro. Das Bürokratieentlastungsgesetz trägt mit einer Entlastung von rund 682 Millionen Euro dazu bei."
Quelle: BMJ

FAZ: Herr Buschmann, Sie sind auch Bürokratieminister. Gibt es gute Bürokratie?

Dr. Marco Buschmann: Ich verstehe mich als Bürokratieabbau-Minister. Das ist jedenfalls der Auftrag, den ich mir gegeben habe. Der Begriff Bürokratie hat ja eine negative Konnotation. Wir meinen damit Regeln, die uns nicht gefallen, die veraltet sind oder mit denen wir es vielleicht auch übertreiben. Aber natürlich gibt es auch gute Regeln, die zu einem funktionierenden Gemeinwesen beitragen.

Der Bürokratiekostenindex zeigt insgesamt rückläufige Werte. Sind die Klagen über Bürokratie übertrieben?

Ich kenne niemanden, der sagt, wir hätten zu wenig Bürokratie. Im Gegenteil: Wir müssen die bürokratische Belastung weiter senken. Das ist etwas, was die Bürger und Betriebe erwarten. Ich nehme schon wahr, dass die Regeln, die aus den Ländern, aus dem Bund und aus Europa kommen, so etwas wie einen Bürokratie-Burnout auslösen.

Was meinen Sie mit „Bürokratie-Burnout”?

Viele Unternehmer und Betriebe haben das Gefühl, dass ihnen die Bürokratie die Zeit für ihre eigentliche Arbeit wegfrisst. Zum Beispiel, um ihre Prozesse und Strukturen auf möglichen Anpassungsbedarf an die demographischen Veränderungen zu überprüfen, die Digitalisierung zu forcieren und sich an die neuen geopolitischen Unsicherheiten und deren Folgen für die Lieferketten anzupassen. Deshalb müssen wir etwas zur Entlastung der Unternehmen tun, ihnen wieder Freiräume schaffen für das, was wirklich zählt.

Am Mittwoch haben Sie Ihren Referentenentwurf für ein Viertes Bürokratieentlastungsgesetz in die Ressortabstimmung gegeben. Was dürfen Bürger und Betriebe erwarten?

Das Gesetz ist ein zentraler Baustein des Bürokratieentlastungspakets, auf das wir uns im Sommer auf unserer Kabinettsklausur in Meseberg verständigt hatten. Wir schaffen insgesamt ein Entlastungsvolumen von mehr als drei Milliarden Euro. Das Bürokratieentlastungsgesetz trägt mit einer Entlastung von rund 682 Millionen Euro dazu bei. Dazu kommen Entlastungen aus dem Wachstumschancengesetz und einer Sammelverordnung, mit der wir 17 andere Verordnungen verbessern. Und es gibt eine besonders gute Nachricht: Wir ziehen die Anhebung der Schwellenwerte bei der Bilanzierung und Rechnungslegung für kleine und mittelständische Unternehmen vor. Sie sind nicht mehr im Entlastungsgesetz, sondern werden noch schneller umgesetzt, sodass die Unternehmen schon bei ihrer Aufstellung der Abschlüsse für 2023 nach den erleichterten Vorgaben vorgehen können.

Was sind für Sie überflüssige Vorgaben?

Überflüssig sind Regelungen, die Aufwand für Bürger, Wirtschaft oder Verwaltung verursachen, ohne einem berechtigten Zweck zu dienen. Oder Vorgaben, bei denen der Aufwand in einem Missverhältnis zum verfolgten Zweck steht. Dabei konzentrieren wir uns auf drei Maßnahmen: Vereinfachungen bei Aufbewahrungsfristen, bei Meldepflichten und Formerfordernissen. Und ich gehe meinen Kolleginnen und Kollegen im Kabinett vermutlich etwas auf die Nerven, wenn ich ständig betone, das ist nur der erste Schritt, das hört danach nicht auf.

Max Weber fragte mal, „was wir dieser Maschinerie entgegenzusetzen haben, um einen Rest des Menschentums freizuhalten von dieser Alleinherrschaft bürokratischer Lebensideale“. Was wäre das?

Max Weber war sicherlich einer der ersten, der im 19. Jahrhundert sozusagen das Leiden an den immer kleinteiligeren Anforderungen artikuliert hat, die mit der neuen Arbeitsteiligkeit einhergingen. Was können wir dem heutzutage entgegenhalten? Ich glaube, es ist höchste Zeit zu erkennen, dass der Kontrollfreak, der Mikromanager, der versucht, seinen Mitarbeitern auch noch zu erklären, wie man den Bleistift richtig anzuspitzen hat, völlig aus der Zeit gefallen ist. So frustriert man Menschen, so ruft man ihr Potential nicht ab. In jeder Managementtagung wäre das eine Binse. Der Staat arbeitet aber leider teils in der Tat noch so. Es werden Gesetze gemacht, die häufig sehr kleinteilig vorschreiben, wie Dinge zu tun sind, anstatt vielleicht manchmal auch einfach nur Zielvorgaben zu machen. Und wir haben einen Behördenaufbau, der dann sehr hinterher ist, im Detail nachzukontrollieren, ob man sich auch gemäß der Norm verhalten hat. Stattdessen könnte man die Frage stellen, ob jemand einen Weg gefunden hat, das Ziel des Gesetzes vielleicht günstiger auf den Weg zu bringen.

Ist die Ampel sich einig, was gute und was überflüssige Bürokratie ist?

Ach, wenn Sie diese Frage zwei oder drei beliebigen Menschen, egal mit welchem Hintergrund, stellen, wird man lange diskutieren. Das ist ja nicht nur eine politische Frage. Unternehmensvertreter sagen mir oft, Herr Minister, die Gesetze müssen kürzer und schlanker werden. Wenn ich dann sage, wie wäre es also mit einer allgemeinen Haftungsregel statt kleinteiliger Detailvorschriften? Dann lautet die Antwort: Nein. Für ihre Branche bräuchten sie schon Rechtssicherheit und deshalb möglichst präzise Vorgaben. Trotzdem müssen wir in der Bundesregierung dafür sorgen, dass die Zahl an Vorschriften reduziert wird. Ich gebe Ihnen ein Beispiel, das für Unternehmen und den Staat gleichermaßen schwierig ist.

Bitte gerne.

Nehmen Sie das Vergaberecht. Für viele Unternehmen ist das sehr kompliziert. Aber auch Bürgermeister und Landräte sagen mir, dass sie heute dreimal so viel Personal für Vergabeverfahren brauchen wie vor zehn Jahren. Das kann doch nicht richtig sein, dass es so kompliziert ist, die eigenen Regeln bei der Vergabe von Aufträgen zu befolgen. In einer Zeit des demographischen Wandels und des zunehmenden Mangels an qualifiziertem Personal ist das schierer Wahnsinn!

Trifft das auch auf das Verpackungsgesetz zu, das Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) plant? Die FDP blockiert unter anderem mit Hinweis auf Bürokratielasten.

Dass Liberale in Regierung und Parlament auf bürokratiearme Lösungen drängen, ist ja ihr Selbstverständnis und Auftrag. Es ist ja auch der übliche Gang eines Entwurfs, dass sich die Ressorts mit Gesetzentwürfen auseinandersetzen. Wenn der Entwurf besser wird, weil er vielleicht auch bürokratieärmer ist, wäre das doch ein Gewinn für alle.

Sie haben die Federführung für das Mietrecht. Wann lichten Sie dort das bürokratische Dickicht?

Es geht in dieser Debatte ganz vieles durcheinander. Die Mietpreisbremse gilt ja bis Ende 2025. Da ist es nicht so entscheidend, ob man sie dieses Jahr oder 2024 verlängert. Wogegen ich mich aber wehre, ist die Illusion, dass man die steigenden Preise für das knapper werdende Gut Mietwohnraum durch immer strengere Regulierung in den Griff bekommt. Was wir brauchen, sind mehr Investitionen in Wohnraum. Regulierungen sind da eher schädlich, weil sie nicht gerade privates Kapital mobilisieren.

Wird mit dem Gesetzentwurf zur verpflichtenden Arbeitszeiterfassung von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) neue Bürokratie geschaffen?

Wir sollten darauf achten, nicht durch gut gemeinte Regulierung die neuen, vielfältigen Arbeitszeitmodelle oder das Homeoffice, das ja auch häufig im Interesse der Arbeitnehmerseite ist, kaputt zu machen. Das hielte ich für schlechte Bürokratie. Hier kommt es auf die Details an.

Kein Gesetz wird von Unternehmen derart kritisiert wie das deutsche Lieferkettengesetz. In Ihrem Entlastungsentwurf wird es nicht einmal erwähnt.

Das Lieferkettengesetz war tatsächlich kein schönes Abschiedsgeschenk der Regierung Merkel. Meine Partei hat es immer für ein großes Problem gehalten, hier einen deutschen Alleingang zu unternehmen. Wir wollten lieber eine schlanke, bürokratiearme europäische Regelung. Leider hat sich der europäische Gesetzgeber des Themas in einer Art und Weise angenommen, die mir große Sorgen macht. Es gibt Signale, dass den Unternehmen eine Menge Bürokratie aufgebürdet werden soll. Die europäische Einigung ist noch zu frisch, um sie schon abschließend zu bewerten. Meine große Skepsis, dass gerade der deutsche Mittelstand zusätzlich belastet wird, ist aber bei Weitem nicht entkräftet.

Sie wollen die Aufbewahrungsfrist für bestimmte Buchungsbelege verkürzen. Welche Entlastung bringt das? Aufbewahrt werden muss ja trotzdem.

Wenn Sie Berge an Papier aufbewahren müssen, dann kostet das Geld. Deshalb ist es eine gute erste Entlastung, dass wir die Frist zur Aufbewahrung nun von zehn auf acht Jahre reduzieren.

Das Hotelgewerbe soll entlastet werden, indem die Meldescheine für Deutsche wegfallen. Das klingt nach Peanuts verglichen mit dem Aufwand zur Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte, die gerade im Hotelgewerbe gesucht werden.

Mit dem Fachkräfte-Einwanderungsgesetz haben wir deshalb ja auch die Anwerbung ausländischen Personals erleichtert. Aber Bürokratie betrifft natürlich auch die Frage, wie unsere Gesetze vollzogen werden. Viele Länder haben die Prozesse der Visaerteilung für Arbeitskräfte vollständig digitalisiert. Da liegt noch eine große Aufgabe vor uns.

Zu langsam geht es auch im Wohnungsbau voran. Sind dort wirklich Tausende von Gesetzen und Normen nötig?

Gemeinsam mit dem Haus von Bundesbauministerin Klara Geywitz wollen wir hier einen neuen Weg gehen. Mit dem Gebäudetyp „E” soll leichter von Standards abgewichen werden können. Die Trittschalldämmung ist dann vielleicht nicht so gut, aber so kann deutlich günstiger Wohnraum geschaffen und zu einem niedrigeren Preis vermietet werden.

Wie stark belastet denn der Verbraucher- und Umweltschutz die Unternehmen?

Der Gedanke des Verbraucherschutzes und des Umweltschutzes ist sehr wichtig. Aber auch hier müssen wir uns die Frage stellen, ob wir die Dinge nicht einfacher und schlanker erreichen können, etwa, indem Prüfverfahren parallel stattfinden, anstatt dass jede Behörde nacheinander ihren Part abarbeitet. Meine feste Überzeugung ist, dass wir durch stärker kollaborative Arbeitstechniken Tempo aufnehmen können, ohne immer an den materiellen Schutzstandards zwingend etwas tun zu müssen. Mehr Tempo brauchen wir auch bei Abwägungsprozessen. Wenn das öffentliche Interesse überragend ist, etwa, weil sich alle einig sind, dass eine marode Brücke ersetzt werden muss, ist es richtig, das schnell zu machen.

Bürokratie ist auch ein Problem des Föderalismus, wie man an nicht abgestimmten Regeln zum Datenschutz sieht. Was lässt sich da ändern?

Das ist in der Tat eine schwierige Situation. Im schlimmsten Fall haben wir 16 verschiedene Interpretationen des einen Datenschutzrechts. Diesen Zustand möchte ich beenden. Wegen des Verbots der Mischverwaltung von Bund und Ländern ist das aber nicht ganz einfach. Deshalb würde ich das Grundgesetz an dieser Stelle für das Datenschutzrecht gerne ändern. Für diesen Vorschlag, der auf eine einheitlich bindende Auslegung des Datenschutzrechts zielt, arbeite ich derzeit an breiter politischer Unterstützung.

Wie wollen Sie erreichen, dass die bürokratischen Zumutungen überall weniger werden? Es gibt ja durchaus Unterschiede zwischen den Ländern.

Eine Anregung für die Landespolitik wäre, einen Bürokratiekostenindex auf Landesebene einzuführen. Das wäre eine wichtige Selbstinformation für die Landesgesetzgeber, und es würde natürlich auch im politischen Prozess etwas auslösen. Keine Opposition würde sich einen Anstieg der Bürokratiekosten entgehen lassen.

Die Bürokratie der Entbürokratisierung würde dann aber weiter zunehmen.

Ja, das klingt ein bisschen nach innerer Dialektik: Bürokratie gegen Bürokratie. Aber es ist kein schlagkräftiges Argument dagegen, dass in jedem Bundesland eine kleine Truppe in den Blick nimmt, ob man es mit der Bürokratie nicht vielleicht übertreibt. Mehr Transparenz würde zu mehr Wettbewerb um mehr Entlastung führen.

Wie aber sollen Bund und Länder die Bürokratie hierzulande bändigen, wenn doch 57 Prozent des Bürokratieaufwands EU-Vorgaben geschuldet sind?

In Wahrheit ist der Anteil sogar eher noch höher, denn die Verordnungen, die unmittelbar gelten, sind in unseren Berechnungen noch gar nicht berücksichtigt. Aber es tut sich etwas. Gemeinsam mit Frankreich wollen wir auf europäischer Ebene systematischen Bürokratieabbau erreichen. In den anderen Mitgliedstaaten gibt es ein großes Interesse an dieser Initiative. Auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich sehr offen dafür gezeigt. Da werden wir sie beim Wort nehmen.

Wo ist Brüssel besonders bürokratielastig?

Wir haben sehr häufig nicht gut abgestimmte Berichtspflichten. Unternehmen müssen über denselben Sachverhalt an verschiedene Stellen berichten. Dazu kommt noch das Monitoring. Wir müssen viel konsequenter doppelte Berichtspflichten streichen oder ihr Entstehen verhindern. Wir setzen bald die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung um. Ich habe den Wirtschaftsminister gebeten, dass wir als Bundesregierung darauf achten, dass daraus und aus der Lieferkettenregulierung keine doppelten Berichtspflichten entstehen.

Noch aufwendiger würde es mit der EU-Lieferkettenrichtlinie. Ketzerisch gefragt: Wiegen Berichtspflichten schwerer, als dass Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden, weil sie von Kinderarbeit profitieren?

Die Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechtsstandards wollen in Wahrheit alle. Die Frage ist vielmehr, was sind die richtigen Instrumente dazu? Nehmen Sie einen deutschen Mittelständler, der 30 oder 40 Produkte auf der ganzen Welt einkauft, sie zusammensetzt und sein Produkt dann in verschiedensten Ländern verkauft. Ist ihm unter Androhung schwerster Konsequenzen zuzumuten, überall an diesen Orten die Verantwortung für den Schutz von Menschenrechten und Umwelt zu übernehmen? Das Unternehmen würde dann natürlich sagen, das kann es gar nicht. Entscheidet sich das Unternehmen dann für einen Rückzug, würde ein Stück Globalisierung rückabgewickelt. Das hat mitunter die Folge, dass die ökonomische Entwicklung in Ländern, in denen man jetzt einkauft, ebenfalls Rückschritte macht. Hier sind Augenmaß und Realismus nötig.

Ihre Mahnung passt gut zur geplanten Kindergrundsicherung. Werden wir noch erleben, dass ein Gesetzesvorhaben gestoppt wird, weil die Kosten der Bürokratie zu hoch sind?

An der Kindergrundsicherung wird gearbeitet. Es ist ein richtiger Punkt, sich darüber Gedanken zu machen, wie man die Kindergrundsicherung weniger personalintensiv gestalten kann.

Eine Zumutung für Bürger und Unternehmen ist vor allem das Durcheinander in der Haushaltspolitik der Bundesregierung. Wie wollen Sie da noch mit Bürokratieentlastung punkten?

Das Gegenteil ist richtig. Das Urteil des Verfassungsgerichts war sehr weitreichend. Wir haben danach den Haushalt 2023 sehr schnell angepasst und die Weichen für das kommende Jahr gestellt. Wir investieren in wichtige Dinge, entlasten die Bürger und halten zugleich die Schuldenbremse ein. Aber wir brauchen vor allem wieder mehr wirtschaftliches Wachstum. Der Abbau von Bürokratie ist ein kostenfreies Konjunkturprogramm. Er war selten so dringend und geboten wie jetzt.

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